«Endure and Survive»
Zur medialen Bedeutung des Raumes in The Road und The Last of Us
«Borrowed time and borrowed world and borrowed eyes with witch to sorrow it.»[1]
«Ellie: This place is very quaint.
Joel: Quaint?
Ellie: Well, I don’t know… I mean, how would you describe it?
Joel: Empty.
Ellie: Yeah. That would be another way.»[2]
Wie in den vorausgehenden Zitaten aus dem Roman The Road sowie dem Videospiel The Last of Us deutlich wird, ist die Wahrnehmung der Welt und die des Raumes eine Frage der Perspektive. Dem Raum kommt eine zentrale Rolle bei der Herstellung und Entstehung von fiktiven Welten zu. Er umgibt eine Geschichte und ist niemals zufällig gewählt. Unter dem Begriff des Raumes verstehe ich nicht nur eine visuelle Gestaltung, sondern auch die Gestaltung der (kulturellen oder politischen) Strukturen. Ich werde also ähnlich wie Korbel davon ausgehen, dass Raum «von konkreten Räumen, wie bspw. Landschaften und Städten, bis hin zu abstrakten Räumen reichen kann, wie zum Beispiel eine leere Fläche, vor der sich ein Objekt befindet»[3].
In folgendem Beitrag soll es um die Bedeutung des Raumes in zwei konkreten Beispielen gehen: einerseits dem im Jahre 2006 erschienenen Roman The Road des amerikanischen Schriftstellers Cormac McCarthy, andererseits in dem Videospiel The Last of Us von Naughty Dog aus dem Jahre 2013. Diese Werke wurden nicht zufällig ausgewählt, denn die Entwickler/innen des Videospiels nennen unter anderem den Roman McCarthys als eine wichtige Inspiration.[4] An dieser Stelle sei auf die 2009 erschienene Filmadaption des Romans The Road von Hillcoat verwiesen, die jedoch in dieser Betrachtung bewusst ausgeklammert wird. Anhand der Gegenüberstellung beider Werke soll aufgezeigt werden, wie Raum in unterschiedlichen Medien dargestellt wird und welche Funktionen und Bedeutungen dem Raum zukommen. Dabei soll vor allem auf die Medialität geachtet werden, wobei geklärt werden soll, welche Eigenschaften ein Medium ausmachen und welche Möglichkeiten sich daraus ergeben, den Raum zu gestalten und einzusetzen. Die konkrete Forschungsfrage lautet dementsprechend: Wie wird in Cormac McCarthys Roman The Road und in (dem lose darauf basierenden) Videospiel The Last of Us der Raum dargestellt und eingesetzt? Welche Funktionen übernimmt er und inwiefern ist die Darstellungsweise und die Funktionalität medial bedingt?
Um diese Fragen zu beantworten, soll zunächst auf unterschiedliche Möglichkeiten des Buches und des Computerspiels eingegangen werden, einen Raum zu gestalten, wobei diese Ergebnisse anschliessend auf die konkrete Raumgestaltung beider ausgewählter Beispiele angewendet werden. In einem letzten Schritt wird an beiden Beispielen die Funktionalität des Raumes untersucht und verglichen.
Der Text-Raum in The Road
Im Gegensatz zum Computerspiel kommt dem Raum und seiner Bedeutung in der Literatur laut Korbel vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit zu.[5] Innerhalb der Literatur- und Kulturwissenschaft hat der Raum zwar im Lauf der Zeit an Anerkennung dazugewonnen (Stichwort spatial turn), erhält aber im Vergleich zu anderen Aspekten wie der Zeit oder Erzählperspektive immer noch weniger Aufmerksamkeit.[6]
Über die Beziehung von Räumlichkeit und Zeitlichkeit verschiedener Kunstformen schrieb schon Lessing in Lakoon oder Über die Grenzen der Mahlerey und Poesie 1766. Dabei geht es um die Abgrenzung der Poetik zu den anderen schönen Künsten – die Malerei kann dabei nach Lessing als Begriff für die bildendenden Künste verstanden werden.[7] Er beschreibt die bildende Kunst als eine räumliche, die nur einen bestimmten Zeitpunkt abbildet, die Poesie (also die Literatur) hingegen sei zeitlich orientiert und fordere ein «Nebeneinander von Handlungen»[8]. Dies bedeutet, dass in der Literatur keine Räumlichkeit beschrieben werden kann ohne auf die Zeit einzugehen.[9] Man könnte sagen: Wenn man ein Gemälde, ein Bild oder einen Bildschirm betrachtet, ist der Raum in seiner Vollständigkeit auf einen Blick sichtbar. Will man einen Raum in der Literatur mit der gleichen Detailliertheit darstellen, muss der/die Leser/in dementsprechend mehr Zeit aufwenden, wobei ein Effekt der zeitlichen Verlangsamung bzw. des Stillstandes entsteht. Eine räumliche Darstellung in der Literatur ist folglich nicht unmöglich, beachtet werden muss aber, dass ein erhöhtes Gefühl der Räumlichkeit gleichzeitig das Gefühl der Zeitlichkeit beeinflusst.[10]
Um ein literarisches Raumbild zu erzeugen, bedarf es neben dem Text immer der Interaktion des/der Leser/in, welche/r die verschiedenen Wahrnehmungen oder Momentaufnahmen zusammenfügt.[11] Iser beschreibt diesen Vorgang mit dem Konzept des/der implizierten Leser/in. In seinem Werk Der Akt des Lesens schreibt er über Leerstellen im Text[12], was meint, dass nicht alles im Text beschrieben werden muss und der/die Lesende diese Lücken durch die eigene Vorstellungskraft schliessen kann. Bezogen auf den Raum heisst das: Ein Raum wird von Lesenden anhand der gegebenen Informationen individuell gestaltet.
Eine weitere, wichtige Herangehensweise an den literarischen Raum bietet die Perspektive der erzählenden Person, nach Genette auch Fokalisierung genannt.[13] So wie für alle Lesenden ein Raum in der Vorstellung von dem Raum eines anderen abweicht, beschreiben verschiedene Menschen auch den gleichen Raum in unterschiedlichen Weisen bzw. nehmen diesen anders wahr. Nicht zuletzt wird also durch den/die Erzähler/in, die Perspektive auf eine Geschichte, deren Figuren, Handlungen und Räume bestimmt.
Der im Jahr 2006 erschienene Roman The Road von Cormac McCarthy handelt von einem Vater und seinem Sohn, die, nach dem Suizid der Mutter, in einer zerstörten Welt um das Überleben kämpfen, indem sie auf der Suche nach Hoffnung auf ein besseres Leben einer Strasse nach Süden folgen. Sowohl der Name des Vaters als auch der des Jungen werden im Roman nie erwähnt. Nur eine einzige Person stellt sich im Laufe der Geschichte mit ihrem Namen vor – wobei sich auch hier später herausstellt, dass dieser erfunden war.
Eine nicht genau definierte Katastrophe setzte die Welt in Flammen und liess den Menschen fast nichts von dem übrig, was sie zum Überleben benötigen. Dabei handelt es sich nicht nur um alltägliche Dinge, die abhandengekommen sind, sondern auch um die Menschlichkeit selbst, welche nahezu verschwunden scheint. Der Vater kannte die Welt bereits vor der Apokalypse, für den Sohn ist die zerstörte Welt hingegen die einzige Welt, die er kennt. Daraus ergibt sich auch eine andere Sicht auf die Welt, eine andere Auffassung von Normalität. Für den Jungen stellt bspw. ein Telefon ‹ein Ding› aus einer fremden, unvorstellbaren Welt dar, wobei es den Vater an frühere Zeiten erinnert. Am Ende stirbt der Vater, der Junge wird von einer anderen Familie aufgenommen.
In The Road findet man eine semiotische, also auf Zeichen basierende, Raumdarstellung. Wichtig für diese ist auch der/die Erzähler/in bzw. die Erzählperspektive. Die in dem Roman gewählte Fokalisierung entspricht der internen Fokalisierung. Das heisst, die Geschichte wird von einer Person vermittelt, die selbst nicht Teil der Geschichte ist (heterodiegetische/r Erzähler/in), der/die aber die Sicht einer bestimmten Person widerspiegelt.
In McCarthys Roman wird die Geschichte aus zwei Perspektiven erzählt: aus der Perspektive des Vaters sowie aus jener seines Sohnes. In bestimmten Situationen ist klar, aus welcher Sicht etwas erzählt wird, bspw., wenn der Vater dem Jungen zu zeigen versucht, welche Geräusche ein Zug macht – Geräusche also, die dem Sohn unbekannt sind: «He made train noises and diesel horn noises but he wasnt sure what these might mean to the boy»[14]. Nach dem Tod des Vaters wird die Geschichte aus der Perspektive des Jungen weitererzählt: «He sat there a long time weeping and then he got up and walked out through the woods to the road.»[15] Zum Teil ist es aber nicht klar ersichtlich, ob aus der Sicht des Vaters oder des Jungen erzählt wird: «They sat that evening by the fire and the boy drank hot soup and the man […] sat watching him until the boy became embarrassed.»[16] Wie in den Zitaten gezeigt wird, sieht man im Roman nicht nur mit einer Person mit, sondern nimmt auch deren Gefühle, vor allem Ängste und Hoffnungen, wahr.[17] Es findet sich auch eine kurze Passage, in welcher die Erzählperspektive die personale Form verlässt und zu einer auktorialen wird und von dem Erreichen der Küste berichtet, von dem die Figuren selbst noch gar nichts wissen können.[18] Dadurch weiss der/die Leser/in schon im Voraus, dass der Vater und sein Sohn ankommen werden und in der Imagination des/der Lesers/Leserin entsteht eine vage Verbindung von ihrem jetzigen Standort zum Ziel.
Die Beschreibung des Raumes vermittelt das Gefühl einer leblosen Welt. Dies zeigt sich durch die fehlende Natur und Menschlichkeit. Das Gefühl wird auch durch den Schreibstil hervorgerufen. Die Sprache und Schreibweise ist sehr minimalistisch gehalten – es finden sich vornehmlich einfach gebaute Sätze, ein nur minimaler Gebrauch von Satzzeichen und es werden keine Namen genannt, weder von Personen noch von Orten.[19] Genau beschriebene Szenen wie die folgende Beschreibung einer Küche und des Wohnzimmers vermitteln zwar ein räumliches Bild, gleichzeitig scheint die Zeit jedoch nur langsam zu vergehen:
«He let himself in through the kitchen. Trash in the floor, old newsprint. China in a breakfront, cups hanging from their hooks. He went down to the parlor. There was an antique pumporgan in the corner. A television set. Cheap stuffed furniture together with an old handmade cherrywood chifforobe.»[20]
An dieser Stelle soll betont werden, dass die Vorstellung des Raumes für jeden/jede Leser/in anders ist, da die Leerstellen unterschiedlich gefüllt werden. Die Küche sowie das Wohnzimmer sieht also für jede/n Leser/in anders aus. Ein Raumbild wird nach Gaile nicht nur dadurch geschaffen, was beschrieben wird, sondern auch, wie dies sprachlich umgesetzt wird. Dabei nennt Gaile den Verzicht von Verben durch die Verwendung von Partizipien als ein Stilmittel, welches den Raum als nicht lebendig und die Figuren als nicht mehr zu aktivem Handeln befähigt darstellt.[21] Beschreibungen wie «The mummied dead everywhere. The flesh cloven along the bones, the ligaments dried to tug and taut as wires»[22] stellen nicht das prozesshafte Tun in den Vordergrund, sondern der Fokus liegt auf der Beschreibung des Zustandes. Ähnlich wie auch beim vorherigen Zitat werden auch hier primär Objekte beschrieben, nicht der Lichteinfall, die Geräusche oder die Gerüche.
Ein bestimmtes Bild wird aber auch durch immer wiederkehrende Schlüsselbegriffe vermittelt. Als Beispiele nennt Gaile die Begriffe «ash», «soot», «dark», «grey».[23] Das einzige, was in dieser Geschichte noch für Hoffnung und Menschlichkeit steht, ist der Überlebenswille der Protagonisten sowie die Liebe, die in der Beziehung zwischen Vater und Sohn und ihrem menschlichen Verhalten dargestellt wird. Wenn der Vater zu seinem Sohn sagt «Because we’re carrying the fire»[24], stehen die Protagonisten durch das Tragen des Feuers symbolisch für die Hoffnung, Zivilisation und Menschlichkeit.
Der Simulations-Raum in The Last of Us
Ein Gründungsmythos der Game Studies zeigt sich in dem häufig angesprochenen Streit zwischen den Ludologen und Narratologen, in dem es darum geht, ob ein Computerspiel nun ein Spiel oder eine Erzählung darstelle, was sich wiederum auf die Analyse und die institutionelle Verortung auswirkt. Es kann jedoch daran gezweifelt werden, inwiefern wirklich von einem Streit die Rede sein kann bzw. konnte.[25] Durch die Definition des Videospiels als Spiel und Narration, zeigen sich wichtige Funktionen des Raumes. Einerseits ist dieser ein Hilfsmittel, um eine Geschichte zu erzählen, andererseits stellt er aber auch das Spielfeld dar, auf welchem sich Spieler/innen bewegen.
Vor allem in Texten deutscher Autoren wird das Videospiel als ein Bildmedium bezeichnet.[26] Korbel schreibt, dass das Computerspiel bildlich, also durch ikonische Zeichen, präsentiert wird, aber hinter diesem eigentlich ein arbiträrer Text (der Programmcode) stehe.[27] Dem stimme ich zu, verwende aber bewusst den Begriff der Simulation statt des Textes, wenn von Computerspielen gesprochen wird. Dabei möchte ich mich nicht gegen den Begriff des Textes für das Computerspiel entscheiden, doch der Begriff der Simulation erfasst meiner Meinung nach besser, worauf ein Computerspiel basiert – nämlich auf einem System aus Regeln, welche durch den Programmcode festgelegt wurden. Da Videospiele visuell als ikonische Zeichen wahrgenommen werden, ergibt sich die Möglichkeit, diese, wie die Malerei, als räumliches Medium zu bezeichnen. Im Gegensatz zur Malerei ist das Computerspiel jedoch kein rein visuelles Medium, sondern bietet auch die Möglichkeit, Inhalt durch Schrift oder einer auditiven Wiedergabe zu vermitteln.
In Videospielen spielt die grafische und detailreiche Gestaltung eines Spiels eine grosse Rolle. Sie wird häufig für Werbezwecke verwendet und stellt ein Bewertungskriterium für Spiele dar.[28] Hierbei geht es auch darum, die Möglichkeiten des technischen Mediums Computerspiel deutlich zu machen. Nebst der visuellen Darstellung steht dem Videospiel im Vergleich zum Buch zusätzlich noch die auditive Raumdarstellung zur Verfügung, was eine weitere Ausgestaltungsmöglichkeit des Raumes ermöglicht. Geräusche können dem/der Spieler/in ein realistischeres Raumerlebnis zulassen, wenn die Geräusche von ausserhalb des gezeigten Raumes kommen, bspw. aus einem geschlossenen Raum, was auch zur Imagination eines Raumes führen kann. Hört man als Spieler/in die Schüsse, welche die Waffe abfeuert, dient dies als Feedback für den/die Spieler/in.
In Videospielen zeigen sich verschiedene visuelle Arten der Raumdarstellung, wobei unter zwei- oder dreidimensionaler Darstellung unterschieden wird. Im Folgenden sollen kurz unterschiedliche Arten der dreidimensionalen Darstellung präsentiert werden, da in dem untersuchten Spiel eine solche Verwendung findet. Korbel unterscheidet in der dreidimensionalen Ansicht die Zentralperspektive und die objektive Perspektive.[29] Die objektive Perspektive beschreibt eine technische, beziehungsweise geometrische Darstellung, die sich unter anderem dadurch auszeichnet, dass kein Fluchtpunkt vorhanden ist und die Grössenverhältnisse beibehalten werden.[30] Dem entgegen steht die zentralperspektivische Darstellung, die im Gegensatz zur objektiven Perspektive einen Fluchtpunkt aufweist und eine subjektive Sicht darstellt, die der Raumwahrnehmung des Menschen entspricht.[31] Eine Zentralperspektive schafft ein Gefühl von Subjektivität und Glaubwürdigkeit für den/die Spieler/in.[32] Unterschieden wird auch oft die First Person- und Third Person-Perspektive. Bei ersterer sieht man als Spieler/in durch die Augen des Avatars, in der zweiten Darstellungsart befindet sich die Kamera ausserhalb des Körpers des Avatars.[33]
In The Last of Us wird die Geschichte des Protagonisten Joel erzählt. Dieser verliert bei dem Ausbruch einer Epidemie seine Tochter Sarah. Die Welt nach der Apokalypse funktioniert nach einer anderen Ordnung als das frühere Leben. Ein Teil der Überlebenden lebt in militärisch kontrollierten Quarantänezonen, ausserhalb dieser Städte finden sich die Infizierten, aber auch andere Gruppen, welche versuchen, dem Einfluss des Militärs zu entgehen. Dem Militär entgegengesetzt ist eine Guerillagruppe, die sich selbst die ‹Fireflies› nennt – die einzige Gruppe, welche auch noch zwanzig Jahre nach dem Ausbruch der Krankheit an der Hoffnung festhält, ein Heilmittel zu finden.
Joel lebt zunächst in einer Quarantänezone, versucht durch seine Tätigkeiten als Schmuggler und Schwarzmarkthändler, sich der Kontrolle des Militärs zu entziehen. Sein Leben nimmt eine entscheidende Wendung, als er den Auftrag bekommt, Ellie, eine Teenagerin, die immun gegen die ausgebrochene Pilzinfektion ist, aus der Stadt zu dem Labor der Fireflies zu schmuggeln, damit diese einen Impfstoff herstellen können.
Der in The Last of Us simulierte Raum entspricht einem dreidimensionalen und zentralperspektivischen. Wie bereits erwähnt, imitiert diese Darstellung die menschliche Wahrnehmung und schafft folglich ein Gefühl von Subjektivität und Glaubwürdigkeit. Der zu spielende Avatar wird jeweils in einer Third Person-Perspektive gezeigt. In gewisser Weise kann man diese Perspektive auch mit jener Erzählweise in The Road vergleichen, da dort durch den er-Erzähler auch eine Aussenperspektive gegeben ist. Im Vergleich zum Roman erhält man jedoch kein Einblick in die Gedanken der Personen, denn diese werden nur dann offenbart, wenn diese ausgesprochen werden.
Das Spiel arbeitet mit verschiedenen Perspektivenwechseln. Es finden sich Szenen, in denen keine klassische Third Person-Perspektive verwendet wird (siehe Abbildung 1).
Im Laufe des Spiels schlüpft man in die Rolle verschiedener Figuren – so spielt man zu Beginn Joels Tochter Sarah, während der Reise mit Ellie nimmt der/die Spieler/in auch zweimal Ellies Rolle ein. Sowohl in The Road als auch in The Last of Us werden unterschiedliche Perspektiven in Form von verschiedenen Personen verwendet, um eine andere Sichtweise auf das Geschehen und die Welt zu vermitteln.
Die ästhetische Gestaltung des Raumes zeigt, wie die vom Menschen geschaffene Welt von der Natur zurückerobert wurde. Dabei sind nicht nur Städte und Dörfer gemeint, sondern auch die Menschheit selbst, welche von einem Pilz befallen wurde. Im Gegensatz zu der toten Natur in The Road wird der Raum als etwas lebendiges, geradezu Hoffnungsvolles, präsentiert. Wird im Roman der Raum vor allem durch die Beschreibung von Objekten dargestellt und bleiben viele Leerstellen für den/die Leser/in bestehen, werden im Game, bedingt durch audiovisuelle Darstellung, ebendiese gefüllt und dadurch eine Atmosphäre geschaffen. Diese entsteht in der Verwendung der lebendigen Farben und des warmen Lichts. Eine Funktion des Raumes in The Last of Us ist also, dass dieser als Symbol für die Lebendigkeit und Hoffnung interpretiert werden kann. Auf (diese und) weitere Funktionen soll es nun im nächsten Kapitel gehen.
Der postapokalyptische Zustand in The Road
Der Raum nimmt viele Funktionen in einem Roman ein, wobei der Ausgestaltung einer erzählten Welt wohl die grösste Relevanz zukommt. Schon Barthes schrieb in seinem Essay über den Wirklichkeitseffekt, dass ab dem Zeitalter der Romantik bzw. des Realismus immer mehr Elemente in eine Geschichte miteingebunden waren, welche für die Erzählung keinen eigentlichen Nutzen bieten.[34] Solche Elemente finden sich auch in The Road, bspw. in der bereits zitierten Szene, in welcher eine Küche beschrieben wurde. Die beschriebenen Dinge sind bestimmte Anhaltspunkte in der räumlichen Darstellung und helfen dem/der Leser/in, eine (individuelle) Vorstellung der im Text beschriebenen fiktionalen Welt zu entwickeln. In McCarthys minimalistischen Schreibstil zeigen die beschriebenen Dinge auch einen weiteren Effekt: die Erzeugung einer sachlichen und objektiven Perspektive.
Auch die enge Beziehung zwischen Vater und Sohn im Roman wird unter anderem durch den Raum, respektive die Objekte, dargestellt. Dies zeigt sich bspw. in der Szene, als der Vater eine Cola-Dose aus einem Getränkeautomaten zieht:
«What is it, Papa?
It’s a treat. For you.
[…]
It’s really good, he said.
Yes. It is.
You have some, Papa.
I want you to drink it.
You have some.»[35]
Da der Junge während der Zeit der Apokalypse geboren wurde, kennt er viele Dinge aus der früheren Welt nicht. Sein Vater versteht, dass die alte Welt und auch er selbst für den Jungen fremd scheinen: «Maybe he understood for the first time that to the boy he was himself an alien.»[36] Das Zitat zeigt die enge Beziehung dadurch, dass der Vater seinem Sohn ein besonderes Erlebnis bieten möchte. Der Junge möchte dieses mit seinem Vater teilen, obwohl – oder genau weil – er es selbst sichtlich geniesst: «It’s really good, he said.»[37] Dinge und der Umgang mit ihnen zeigen im Roman aber nicht nur die Beziehung zwischen Vater und Sohn auf, sondern können implizieren auch eine Gruppenzusammengehörigkeit. Im Roman tragen bspw. alle Mitglieder einer Gruppe einen roten Schal: «Dressed in clothing of every description, all wearing read scarves at their necks.»[38] Im Umgang mit Dingen werden auch Personen und deren verschiedene Ansichten deutlich. Wenn ein Mann den Einkaufswagen des Vaters und Sohnes klaut, bedeutet dies, dass dieser sein Leben über das der Anderen stellt.[39]
Das Beispiel der Cola-Dose zeigt aber nicht nur die Funktion des Raumes für die Wahrnehmung der Beziehung zwischen Figuren auf. Im Raum in The Road lässt sich zudem eine Beziehung der Gegenwart und Vergangenheit erkennen. Die Objekte von früher haben in der neuen Welt oftmals keinen Nutzen mehr oder einen ganz anderen. Weiss der Vater noch von früher, welcher Sinn einem bestimmten Ding zukommt, sind die Objekte für den Sohn ‹sinnlos›. Ähnlich wie die Objekte haben auch die Namen ihren Nutzen verloren und weisen somit auf eine veränderte Welt hin. Objekte stellen nicht nur eine Beziehung zur Vergangenheit her, welche vor der Apokalypse liegt. So wird im Roman eine Wand aus Menschenköpfen wie folgt beschrieben: «The wall beyond held a frieze of human heads, all faced alike, dried and caved with their taut grins and shrunken eyes»[40],«He’d come to see a message in each such late history, a message and a warning, and so this tableau of the slain and devoured did prove to be»[41]. Die Beschreibung dieser Wand kann ein Hinweis darauf sein, dass es in dieser Welt Menschen gibt, welche auch vor dem Töten anderer nicht zurückschrecken, um zu überleben. Sie kann auch als eine Warnung für die Protagonisten angesehen, und von Lesern/Leserinnen als Vorausdeutung interpretiert werden.
Im Roman muss eine Erinnerung oder ein Gedanke prinzipiell nicht zwingend an einen Raum gebunden sein. Zudem können die Gedanken eines Protagonisten auch plötzlich – als innerer Monolog – auftauchen, ohne dass diese in irgendeiner Weise an den Raum gebunden sind. Dies gilt auch für die Beschreibung einer Traumszene, welche in den Text eingeschoben wird, ohne dass auf den Raum angespielt wird:
«A river far below. How far had they come?
In his dream she was sick and he cared for her. The dream bore the look of sacrifice but he thought differently. He did not take care of her and she died alone somewhere in the dark and there is no other dream nor other waking world and there is no other tale to tell.
On this road there are no godspoke men.»[42]
Der Raum schafft in The Road eine Atmosphäre der Unsicherheit. Erklärt werden kann dies durch die Bedürfnispyramide nach Maslow, welche eine Hierarchie der Bedürfnisse erklären soll, wie Menschen ihre Motivation nach Prioritäten ordnen.[43]
Als die wichtigsten Bedürfnisse werden hierbei die physiologischen genannt, das sind bspw. Essen, Wasser und Schlaf.[44] Mit diesen Bedürfnissen sind Vater und Sohn hauptsächlich konfrontiert. Auf der nächsten Ebene steht die Sicherheit.[45] Doch schon hier zeigt sich ein grundlegendes Bedürfnis, welches den Figuren in The Road nicht gewährt wird. Statt Sicherheit findet sich in deren postapokalyptischen Leben vor allem Angst:
«If you’re on the lookout all the time does that mean that you’re scared all the time?
Well. I suppose you have to be scared enough to be on the lookout in the first place. To be cautious. Watchful.
But the rest of the time you’re not scared?
The rest of the time.
[…]
Do you always expect it? Papa?
I do.»[46]
Die Gegner des Vaters und des Sohnes sind einerseits die Menschen der postapokalyptischen Welt selbst, andererseits stellen auch die Natur und der Raum eine Bedrohung dar. Die Bedrohung durch die Natur wird bspw. durch ein Erdbeben dargestellt, dem sie schutzlos ausgeliefert sind: «The ground was trembling. It was coming towards them.»[47] Weiterhin werden auch oft die lebenswidrigen Bedingungen betont, vor allem die Kälte[48], Passagen wie «Mostly he worried about their shoes. That and food. Always food»[49] spielen hingegen auf die Nahrungs- bzw. Ressourcenknappheit an. Auch die Schädigung der Lunge des Vaters, die vermutlich durch den Feinstaub entstanden ist[50], kann als eine Bedrohung seitens der Natur betrachtet werden. Unter anderem ist auch die Kälte und der Winter ein Grund, weshalb Vater und Sohn die Reise überhaupt antreten, denn wie erklärt wird: «They were moving south. There’d be no surviving another winter here.»[51]
Ein Symbol für eine Welt ohne Sicherheit ist der Revolver mit den zwei enthaltenen Kugeln, den die beiden auf ihrer Reise mit sich tragen. Er kann den Protagonisten entweder dazu dienen, sich aus einer ausweglosen Situation durch Suizid zu befreien, oder dazu genutzt werden, um sich zu verteidigen.[52] Er ist ein Objekt, welches dem Vater und dem Sohn ein Gefühl gibt, der Welt nicht vollkommen schutzlos ausgeliefert zu sein. Kommt man nun nochmals auf die vorher eingeführte Bedürfnispyramide zurück, wird deutlich, dass das Leben in der postapokalyptischen Welt einen ständigen Kampf mit dem essentiellen physiologischen Bedürfnis sowie dem Bedürfnis nach Sicherheit darstellt.
Die Angst vor den anderen Menschen und eine Welt ohne einen schützenden Raum wird im Laufe der Geschichte immer wieder thematisiert, wie etwa in folgender Passage: «He watched the boy and he looked out through the trees towards the road. This was not a safe place.»[53], «No place to make a fire that would not be seen»[54]. Totten beschreibt in seinem Buch über Level Design in Games grosse, weite Räume als solche, die ein Gefühl der Angst hervorrufen. Diese sogenannten prospect spaces beschreibt er wie folgt: «[P]rospects create a sense of agoraphobia, an anxiety disorder that includes a fear of wide-open spaces.»[55] Eine solche Verwendung des Raumes in The Road wird deutlich, wenn man sich der Funktion des Rückspiegels, der vom Vater an dem Einkaufswagen befestigt wurde[56] bewusst wird: Der Rückspiegel nimmt die Funktion der Überwachung des unsicheren Raumes ein.
Es sind jedoch nicht nur die weiten, offenen Räume, welche den Vater und dessen Sohn in Angst versetzten. Sogar ein Bunker, welcher ihnen scheinbar sichere vier Wände («The bunker was walled with concrete block»[57]) sowie genug Nahrung bietet[58], ist kein sicherer Ort:
«How long can we stay here Papa?
Not long.
[…]
Because it’s dangerous?
Yes.»[59]
Im Roman sind Einflüsse verschiedener Genres erkennbar. Eine Verbindung zur Parabel zeigt sich darin, dass Moral und Ethik ein zentraler Bestandteil sind. Ein Genre, welches mehr mit der Thematik der Räumlichkeit verknüpft werden kann, ist das Abenteuergenre. Gaile vergleicht den Überlebenskampf von Vater und Sohn mit jenem in Robinson Crusoe.[60] Der Wille zum Überleben treibt die Protagonisten an, den umgebenden Raum zu entdecken. Ähnlich wie in anderen Werken der Abenteuerliteratur bedeutet ein Fortschreiten im Raum auch ein Fortschreiten der Handlung. Ein weiteres Merkmal, das The Road mit einem Abenteuerroman gemeinsam hat, findet sich im Umstand, dass die Reise nicht von den Protagonisten selbst gewählt wurde, sondern eher als eine Reaktion auf das Schicksal angesehen werden kann. Daneben fällt die (scheinbare) Dichotomie von Gut und Böse auf.[61] Diese ist im Roman zwar angedeutet, wird aber auch angezweifelt. Darin zeigt sich der Einfluss der Parabel. Das Entsprechen der äusseren Reise als eine innere Reise kann ebenfalls als ein Zug des Abenteurergenres angesehen werden. Der/Die Abenteurer/in ist nicht nur ein Mensch, der eine besondere Begabung hat (im Falle von The Road liegt diese in der Moralvorstellung von Vater und Sohn), sondern auch jemand, der auf seiner Reise als ein Lernender dargestellt wird.[62] Der Sohn verändert sich im Laufe der Geschichte, was sich bspw. daran zeigt, dass er den Anblick von Leichen zu ertragen lernt und sich nicht mehr davon beunruhigen lässt:
«I dont want you to look.
They’ll still be there.
[…]
He looked down the road and he looked at the boy. So strangely untroubled.»[63]
Doch nicht nur der Junge verändert sich, sondern auch der Vater. Als ihr Einkaufswagen geklaut wird und die beiden den Dieb finden, zwingt der Vater diesen, nicht nur ihre Sachen zurückzugeben, sondern nimmt ihm auch sämtliche seiner eigenen Sachen ab und lässt ihn nackt auf der Strasse zurück.[64] Nach einem Gespräch mit dem Sohn entscheidet sich der Vater, zurückzugehen und den Mann zu suchen.[65] In gewisser Weise sind die beiden Protagonisten also auch jeweils als Mentor des anderen zu sehen.
In The Road zeigt sich die Funktionalität des Raumes nicht nur durch die verwendeten Strukturen des Abenteuerromans. Nicht zuletzt stellt The Road auch eine Dystopie dar, bei der die Raumgestaltung eine essentielle Bedeutung einnimmt. Diese literarische Gattung zielt auf eine Gesellschaftskritik ab und versucht, durch die Darstellung einer hoffnungslosen Zukunft die Folgen von bestimmten gegenwärtigen Entwicklungen darzustellen.[66] In The Road wird die hoffnungslose Zukunft vor allem durch die dargestellte Umwelt präsent. Es gibt keine Natur mehr, kein Leben, auch keine Unschuld, sondern nur noch Asche und Zwielicht. Zwar nennt der Roman keine eindeutige Ursache für die Apokalypse, Gaile sieht die zerstörte Natur aber als mögliche Folge eines nuklearen Winters.[67] Auch darin zeigt sich eine gesellschaftskritische Haltung, welche vor den Folgen atomarer Kriege warnt. Die fiktive Welt funktioniert als (gesellschaftskritischer) Verweis auf die nicht-fiktive, reale Welt.
Im Gegensatz dazu steht die Beziehung der beiden Protagonisten, die als einzige Hoffnung gilt. Auch das Ende kann als hoffnungsvoll gedeutet werden, da der Junge von einer anderen Familie aufgenommen wird. Dies deutet auf die Hoffnung hin, dass noch immer ein Rest von Menschlichkeit existiert. Betrachtet man den Roman als Dystopie, zeigt sich also eine weitere Funktion. Viele der in The Road betrachteten (narrativen) Funktionen des Raumes finden auch im Computerspiel Verwendung. Neben erzählerischen, also narrativen, Funktionen kommen dort dem Raum zusätzlich auch ludische Funktionen zu.
Spiel-, Simulations- und Narrations-Raum in The Last of Us
Wie bereits erwähnt, kann ein imposanter Raum im Videospiel als Werbemittel eingesetzt werden, er bietet aber auch Vorteile für das Gameplay und schafft eine glaubwürdige Welt.[68]
Das Spiel mit der Perspektive hat also sowohl narrative als auch ludische Funktionen. Die bereits genannten Beispiele des Spiels mit der Perspektive (siehe Abbildung 1) gestalten das Gameplay abwechslungsreich. Das Spielen von anderen Personen – Sarah und Ellie – hat aber nicht nur eine Funktion bezüglich des Gameplays, sondern auch für die Narration. Spielen wir anfangs Joels Tochter Sarah, hat dies einerseits den Sinn, dass der/die Spieler/in erst einmal lernt, wie die Steuerung des Spiels funktioniert, ohne dass er gleich die Gegner selbst eliminieren muss. Andererseits wird Joel auch als liebenswerter Vater und Beschützer inszeniert, indem er sich vor seine Tochter stellt.[69]
Ähnlich wie in The Road, und auch im postapokalyptischen Setting allgemein, herrscht in The Last of Us eine unsichere Atmosphäre. Wird diese im Roman aber vor allem durch offene, weite Räume dargestellt, sind es im Videospiel vermehrt kleine und geschlossene Räume. Figuren können dabei nach Totten auch als alternative Architektur angesehen werden und durch Gegner kann sich die gefühlte Grösse eines Raumes noch einmal zusätzlich verkleinern.[70] Gibt es im Roman Momente, in denen ein gewisses Gefühl von Sicherheit herrscht, so sind solche auch im Spiel zu finden. In denen weiss bzw. lernt der Spieler, dass er nicht angegriffen werden kann, was ihm ein Gefühl von Sicherheit vermittelt. Hat man einen Kampf erfolgreich beendet und alle Gegner besiegt, kann dies bspw. durch die beiden Protagonisten kommentiert werden. Joel neigt dabei eher zu Sätzen wie «That was too damn close»[71], während Ellie gerne den Spruch «endure and survive»[72] ihres Lieblingscomics Savage Starlight zitiert. Es gibt jedoch auch noch weitere Anzeichen dafür, dass eine gefährliche Situation vorbei ist. So wird im Kampf oft auch durch die eingesetzte Musik eine bedrohliche Atmosphäre geschaffen – diese verstummt, sobald die Gefahr verschwunden ist. Folglich wird der Raum durch Sprache, Musik und Geräusche symbolisch aufgeladen.
The Last of Us wird von verschiedenen Quellen unterschiedlichen Genres zugeordnet und wird bspw. als Action oder Action-Adventure beschrieben.[73] Eine Nähe zum Abenteuergenre findet sich in The Last of Us ebenso wie in The Road, wenn nicht sogar noch in einer deutlicheren Form. Darauf soll hier aber nur kurz eingegangen werden, da der Raum eine ähnliche Funktion wie in der Literatur einnimmt. Denn auch hier wird das Fortschreiten einer Handlung durch das Fortschreiten im Raum repräsentiert, ebenso kann die äusserliche Reise als eine innerliche, psychische Reise verstanden werden. Der Unterschied liegt darin, dass die Bewegung im Raum durch die haptische Interaktion mit dem System entsteht.
Ebenso wie The Road ist auch The Last of Us eine Dystopie. Im Gegensatz zu der Ausgangslage in The Road zeigt sich im Computerspiel ein lebensfreundlicherer Raum. Die Schönheit in The Last of Us liegt aber nicht in dem Raum, den die Menschen geschaffen haben, sondern in der Natur, welche sich ihren Lebensraum in der postapokalyptischen Zeit wieder zurückerobert hat. Ursache der Apokalypse ist eine Pilzinfektion – auch diese kann als eine Einverleibung der Menschheit durch die Natur gesehen werden. Die an dem Pilz erkrankten Infizierten stellen eine Bedrohung für die Menschheit dar. Ein solches Szenario wirft mehrere gesellschaftskritische Fragen auf, die sich vor allem auf das Verhältnis zwischen Mensch und Natur beziehen. Lässt sich in The Road das postapokalyptische Szenario am ehesten dadurch erklären, dass der Mensch für die Zerstörung der Natur verantwortlich ist, so ist es in The Last of Us die Natur, welche Rache an der Menschheit übt. Doch auch hier kann der Mensch als eine Bedrohung für sich selbst gesehen werden. Am Ende hat der Protagonist Joel die Möglichkeit, die Epidemie zu beenden, indem er den Tod von Ellie in Kauf nimmt und dadurch ein Heilmittel ermöglicht. Seine Entscheidung gegen die Menschheit und für Ellies Leben kann als eine moralisch verwerfliche betrachtet werden, in welcher es hauptsächlich darum geht, dass Joel einen weiteren Verlust einer geliebten Person nicht mehr verkraften könnte und somit aus egoistischen Motiven gehandelt hat. Andererseits entscheidet er sich aber auch für eine geliebte Person und gegen einen gesellschaftlichen Opportunismus.
Schlussendlich lassen sich anhand von The Last of Us mehrere gesellschaftskritische Fragen aufwerfen: Wie geht der Mensch mit der Natur um? Ist eine Gesellschaft, in der jede/r zunächst auf sich selbst achtet, es nicht mehr wert, gerettet zu werden? Liegt es in der Natur der Menschheit, sich selbst zu zerstören? In diesen aufkeimenden Fragen zeigt sich, wie beim dystopischen Roman The Road, die Funktionalisierung des Raumes zur Thematisierung von Gesellschaftskritik. Die fiktive Welt – oder im Sinne des Computerspiels vielleicht besser fiktionale Spielwelt – fungiert auch hier als (gesellschaftskritischer) Verweis auf den realen Kontext. Eine weitere Funktion, die der Raum in The Last of Us mit dem Raum in The Road teilt, ist die Anspielung auf die Vergangenheit bzw. die Zeit an sich. Objekte wie die alte Cola-Dose in The Road oder die Filmplakate in The Last of Us werden so zu traurigen Zeitzeugen.
Raum und Zeit
Zuvor wurde besprochen, dass es mehrere Wege gibt, ein Ereignis in der Literatur darzustellen. Zum einen kann von Ereignissen in chronologischer Reihenfolge berichtet werden. In Computerspielen ist oftmals eine solche chronologische Darstellung anzutreffen, wobei Vorausdeutungen oder Rückblenden nicht unmöglich, sondern einfach mit einer anderen Problematik behaftet sind als in der Literatur. Spielt man in einem Videospiel plötzlich eine Szene der Vergangenheit des Protagonisten nach, ergibt sich folgendes Problem: Da das Videospiel eine Simulation darstellt, in welchem auch die Handlung des Spiels (nach festgelegten Regeln) beeinflusst werden kann, muss sichergestellt werden, dass eine (vorher gespielte) Szene, welche in der Vergangenheit spielt, so ausgeht, dass die Handlung der Gegenwart daran anknüpfen kann. In The Last of Us wird dieses Problem mit einer linearen Erzählstruktur und durch den Einsatz von Cutscenes, in denen der/die Spieler/in die Handlung nicht beeinflussen kann, umgangen. Das bedeutet, dass es eigentlich nur eine Geschichte gibt, welche erzählt werden will. Räumlich zeigt sich dies durch die labyrinthische Level-Struktur, das heisst dadurch, dass es nur einen Weg gibt, dem der/die Spieler/in folgen kann.[74] Eine solche Struktur macht es möglich, narrative Elemente (bspw. Cutscenes oder Dialoge) durch das Betreten eines bestimmten Punktes im Raum zu triggern, also auszulösen.
Dadurch, dass genau bestimmt werden kann, wann der/die Spieler/in was erlebt hat, ist also nicht nur eine chronologische Erzählweise möglich, sondern auch die Darstellung von bereits vergangenen Ereignissen oder von Vorausdeutungen. In The Last of Us wird vor allem durch (räumlich) getriggerte Dialoge auf die Vergangenheit und Zukunft angespielt. Da schon in The Road mit Beispielen von Träumen gezeigt wurde, welche narrativen Strategien es gibt, Vergangenes zu thematisieren, soll nun auch bei The Last of Us anhand der Erzählung eines Traumes darauf eingegangen werden.
Als Joel und Ellie zu Beginn des Abenteuers in einem kleinen Raum warten, bis sie ihr Abenteuer fortsetzen können, hat Joel einen Albtraum. Dies wird von Ellie durch «I hate nightmares»[75] kommentiert und wird quasi gegenwärtig erzählt. Als Joel und Ellie in Salt Lake City ankommen, spricht Ellie von einem Albtraum, welchen sie aber schon früher hatte. Läuft man als Joel zu Ellie, die vor dem Werbeplakat einer Airline steht, wird zunächst der Satz «I dreamt about flying the other night»[76] ausgelöst. Danach hat der/die Spieler/in über das Drücken einer angezeigten Taste die Möglichkeit, noch mehr über Ellies Traum zu erfahren.
Schlussendlich kann man also sagen, dass in The Last of Us durch Raum auf die Zeit angespielt wird. Das audiovisuelle Medium Videospiel zeichnet sich durch eine detaillierte Schilderung von Räumlichkeit aus und nutzt diese, um eine Zeitlichkeit darzustellen. So können die Dialoge im Spiel nicht durch Zeit getriggert werden, da es jeder spielenden Person freisteht, ein Spiel in seiner eigenen Geschwindigkeit zu erleben. Durch die labyrinthische Struktur jedoch sind Räume gegeben, die jede/r Spieler/in (zu welchem Zeitpunkt auch immer) betreten muss, um die Handlung voranzutreiben.
Die Funktionen des Raumes für das Gameplay führen dazu, dass der Raum als Spielfeld fungieren muss. Dies bedeutet, dass verschiedene Spielstile angewendet werden können, um eine Situation zu überwinden und man sich frei bewegen kann. So hat man in The Last of Us als Spieler/in oftmals die Möglichkeit, eine Situation durch einen offenen Kampf oder durch das Schleichen zu überwinden. Um so eine Situation überhaupt erst entstehen zu lassen, braucht es Gegner/innen. Die Natur kann auch im Spiel als Gegner/in interpretiert werden (man kann ertrinken), im Fokus stehen jedoch personifizierte Gegner/innen. Im Spiel stellen sowohl das Militär, die Mitglieder der Fireflies, als auch die infizierten Menschen Gegner/innen dar. Da die Infizierten in The Last of Us von einem Pilz befallen wurden, könnte man sagen, sie seien die Natur als Gegner/in in personifizierter Form. Im Vergleich zum Roman gibt es im Spiel nicht nur deutlich mehr Gegner/innen, der Raum zeigt sich auch strukturierter.
Der Raum in Computerspielen sollte so aufgebaut sein, dass die Spieler/innen sich darin orientieren können. Eine Möglichkeit, um die Orientierung zu verbessern, ist das Einsetzen sogenannter Landmarks.[77] Bei diesen handelt es sich um besonders auffällige räumliche Gestaltungen, wie zum Beispiel besondere Gebäude oder Plätze, aber auch natürliche Gegebenheiten, die Spieler/innen die Orientierung erleichtern. In The Last of Us sind dies bspw. die gelbe Brücke in Pittsburgh, der Funkturm, aber auch der Fluss in Jackson County. Das Einsetzen solcher Landmarks zur Orientierung ist aber in linearen Spielen tendenziell nicht so wichtig, wie etwa in Open World-Spielen, da sich die Spieler/innen in diesen freier bewegen können. Die Landmarks sind aber nicht nur wichtig für die Orientierung der Spieler/innen, sondern weisen durch ihren zerstörten Zustand auf den Verfall und die Vergänglichkeit der alten Welt sowie auf die Verbindung von Fiktion und Realität hin.
Die Raumgestaltung hat auch die Funktion, den/die Spieler/in zu motivieren. Nach Totten können Belohnungen in Form von Ressourcen, einer narrativen Cutscene oder einer besonders schönen Aussicht, welche solche Landmarks mit einschliesst, gefunden werden. Dadurch kommt den Landmarks eine zentrale Rolle im Spielvergnügen zu. Wenn auf einen Kampf eine Szene mit besonders schöner Aussicht folgt, stellt diese die Belohnung für die bewältigte Aufgabe dar. Ein ähnliches Vorgehen ist auch im Roman The Road zu beobachten. So folgt auf ein besonders schreckliches Erlebnis ein gutes, was auch als eine Strategie zur Lesermotivation betrachtet werden kann.
Reisen zwischen Text und Simulation
Die unterschiedlichen Medialitäten des Raumes in The Road und The Last of Us konnten einander gewinnbringend gegenübergestellt werden. Vergleichbare Funktionen finden sich zum Beispiel in der Schaffung einer Atmosphäre, in dem Aufbau einer (realistischen) erzählten Welt, der Charakterisierung von Figuren und deren Beziehungen untereinander sowie auch die Anspielung auf die frühere, auch vor-apokalyptische, Zeit. Zudem verwenden beide Werke den Raum auch im Sinne der Abenteuerliteratur als treibende Kraft der Erzählung und als Metapher.
Unterschiede bezüglich des Raumes finden sich in seiner unterschiedlichen Darstellung (imaginierter Raum und visueller Raum), aber auch in dessen Funktionen.
Im Videospiel ist der Raum nicht nur Grundlage einer Erzählung, sondern zugleich auch ein Spielfeld. Als dieses hat er die Aufgabe, den Spielern eine Orientierung zu ermöglichen und diese zu motivieren. Ein weiterer Unterschied zwischen The Road und The Last of Us zeigt sich in dem Verhältnis von Zeit und Raum. Im Roman kann durch das Spielen mit der Zeitlichkeit ein Raumgefühl aufkommen. Im Computerspiel hingegen, welches eher als räumliches Medium verstanden werden kann, wird durch den Raum auf Vergangenes und Zukünftiges eingegangen, womit eine Zeitlichkeit hervorgerufen wird.
Nicht zuletzt fungiert der Raum in beiden dystopischen Werken als Kommentar zur. nicht-fiktionalen, realen Welt. Dadurch werden die Lesenden bzw. die Spielenden dazu aufgefordert, die zeitgenössische Gesellschaft sowie das eigene Handeln zu hinterfragen und somit aus einer anderen Perspektive zu betrachten.
Quellenverzeichnis
Gamographie
- The Last of Us. Naughty Dog (PS4 2013).
Primärliteratur
- McCarthy, Cormac: The Road. New York: Vintage House, 2006.
Audiovisuelle Quellen
- Games as Literature: «Games as Lit. 101 – Literary Analysis: The Last of Us». 19.10.2015 (https://www.youtube.com/watch?v=NDEQzOpRCa8&t=3083s, abgerufen: 17.02.2017).
- Günzel, Stephan: «CML – 24 – Stephan Günzel: Sehenhandeln – Bewegung im Computerspielbild». 01.07.2014 (https://www.youtube.com/watch?v=2s047Qgvt90, abgerufen: 17.02.2017).
Sekundärliteratur
- Barthes, Roland: Das Rauschen der Sprache: (kritische Essays IV). Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2005.
- Frasca, Gonzalo: «Ludologists Love Stories, too: Notes from a Debate that Never Took Place». ludology.org, 2003 (http://ludology.org/articles/Frasca_LevelUp2003.pdf, abgerufen: 17.02.2017).
- Gaile, Andreas: Nachwort zu McCarthy, Cormac: The Road. Stuttgart: Reclam, 2009, 283–295.
- Günzel, Stefan: The Space-Image. Interactivity and Spatiality of Computer Games. In: Günzel Stefan, Michael Liebe und Dieter Mersch (Hg.): Conference Proceedings of the Philosophy of Computer Games. Potsdam: University Press, 2008, 170–187.
- Iser, Wolfgang: Der Akt des Lesens. Theorie ästhetischer Wirkung. 4. Aufl. München: Wilhelm Fink Verlag, 1994 (1976).
- Kalbermatten, Manuela: «Von nun an werden wir mitspielen». Abenteurerinnen in der phantastischen Kinder- und Jugendliteratur der Gegenwart. Zürich: Chronos Verlag, 2011.
- Korbel, Leonhard: Zeit und Raum im Computerspiel. Ein narratologischer Ansatz. München: Martin Meidenbacher Verlagsbuchhandlung, 2009.
- Lautenbach, Ernst: Lexikon Lessing Zitate. Auslese für das 21. Jahrhundert. Aus dem Wek und Leben. München: IUDICIUM, 2015.
- Martínez, Matías und Michael Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie. 9. Aufl. München: Verlag C.H.Beck, 2012 (1999).
- Neitzel, Britta: «Point of View und Point of Action – Eine Perspektive auf die Perspektive in Computerspielen». Repositorium Medienkulturforschung 4, 2013 (http://repositorium.medienkulturforschung.de/?p=360, abgerufen: 17.02.2017).
- Totten, Christopher W.: An Architectual Approach to Level Design. Boca Raton: CRC Press, 2014.
- Zeissner, Elena: Dunkle Welten. Die Dystopie auf dem Weg ins 21. Jahrhundert. Marburg: Tectum, 2008.
Internetquellen
- GameStar: «Das neue Wertungssystem – So werten GameStar und GamePro». GameStar, 2015 (http://www.gamestar.de/specials/reports/3084841/das_neue_wertungssystem.html#top, abgerufen: 17.02.2017).
- Peschke, André: «The Last of Us im Test – Berührend und brutal». GamePro, 2013 (http://www.gamepro.de/artikel/the-last-of-us-beruehrend-und-brutal,3012880.html, abgerufen: 17.02.2017).
- Philipp, Andreas: «The Last of Us Remastered.» Gameswelt, 2014 (http://www.gameswelt.ch/the-last-of-us/test/schoenheitsoperation,226169, abgerufen: 17.02.2017).
- Turi, Tim: «The Last of Us. Strife Breeds Strife: Inspiration For The Last of Us». gameinformer, 2012 (http://www.gameinformer.com/games/the_last_of_us/b/ps3/archive/2012/02/10/strife-breeds-strife-inspiration-for-the-last-of-us.aspx, abgerufen: 17.02.2017).
Abbildungsverzeichnis
- Abb. 1: Beispiele für verschiedene Perspektiven in The Last of Us. Screenshots von Bettina Weber, 2017.
- Abb. 2: Nicht nur die grüne Farbe und das warme Licht vermitteln in The Last of Us das Gefühl von Hoffnung und Leben, sondern auch der Einsatz von Tieren selbst (The Last of Us 2013). In: Richardson, Mike (Hg.): The Art of The Last of Us. Milwaukie: Dark Horse Books, 2013.
- Abb. 3: Die Bedürfnispyriamide nach Maslow. In: Totten, Christopher W.: An Architectual Approach to Level Design. Boca Raton: CRC Press, 2014, 206.
- Abb. 4: Darstellung eines modernen First-Person Shooter Levels. Das in The Last of Us eingesetze Prinzip funktioniert ebenso. In: Totten, Christopher W.: An Architectual Approach to Level Design. Boca Raton: CRC Press, 2014, 307.
[1] McCarthy 2006, 130.
[2] The Last of Us 2013.
[3] Korbel 2009, 60.
[4] Turi 2012.
[5] Korbel 2009, 60.
[6] Ebd., 60
[7] Lautenbach 2015, 57.
[8] Ebd., 57.
[9] Korbel 2009, 72.
[10] Ebd., 74.
[11] Korbel 2009, 73.
[12] Iser 1994, 301–315.
[13] Martínez und Scheffel 2012, 67.
[14] McCarthy 2006, 180.
[15] Ebd., 281.
[16] Ebd., 252.
[17] Gaile 2009, 291.
[18] McCarthy 2006, 181.
[19] Gaile 2009, 290f.
[20] McCarthy 2006, 21f.
[21] Gaile 2009, 291.
[22] Ebd., 21.
[23] Gaile 2009, 285.
[24] McCarthy 2006, 83.
[25] Vgl. Frasca 2003.
[26] Vgl. Günzel 2008, 170. Neitzel 2013, 2.
[27] Korbel 2009, 71.
[28] Vgl. GameStar 2015. Unter der Kategorie Präsentation sind sowohl Grafik, Musik als auch Sound inbegriffen.
[29] Korbel 2009, 98.
[30] Ebd.
[31] Korbel 2009, 98.
[32] Ebd., 99.
[33] Totten 2014, 146f.
[34] Barthes 2005, 164.
[35] McCarthy 2006, 23.
[36] Ebd., 153.
[37] Ebd., 23.
[38] Ebd., 91.
[39] Ebd., 255.
[40] McCarthy 2006, 90.
[41] Ebd. 2006, 91.
[42] Ebd., 32.
[43] Totten 2014, 205.
[44] Ebd., 206.
[45] Totten 2014, 206.
[46] McCarthy 2006, 151.
[47] McCarthy 2006, 27.
[48] Ebd., 9.
[49] Ebd., 17.
[50] Gaile 2009, 285.
[51] McCarthy 2006, 4.
[52] Ebd., 66.
[53] McCarthy 2006, 5.
[54] Ebd., 29.
[55] Totten 2014, 124 (Hervorhebung im Original).
[56] McCarthy 2006, 24.
[57] Ebd., 138.
[58] Ebd., 138.
[59] Ebd., 148.
[60] Gaile 2009, 288.
[61] Kalbermatten 2011, 14 und 32.
[62] Ebd., 31.
[63] McCarthy 2006, 191.
[64] Ebd., 256.
[65] Ebd., 259f.
[66] Zeissner 2008, 31.
[67] Gaile 2009, 285.
[68] Korbel 2009, 99.
[69] Games As Literature 2015, 00:11:49-00:12:12.
[70] Totten 2014, 155.
[71] The Last of Us 2013.
[72] Ebd.
[73] Vgl. Peschke 2013, Philipp 2014.
[74] Totten 2014, 113.
[75] The Last of Us 2013.
[76] The Last of Us 2013.
[77] Totten 2014, 136.